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Das Briefing dazu, wie sich Entscheidungen in Brüssel auf Sie auswirken. Mit dem Wissen des größten Newsrooms der europäischen Hauptstadt.
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von JÜRGEN KLÖCKNER
Mit LAURA HÜLSEMANN und JULIUS BRINKMANN
DIE TOP-THEMEN |
— Von der Leyen 1: Spaniens Umweltministerin gilt als aussichtsreiche Kandidatin für einen Kommissions-Posten. An ihrer möglichen künftigen Chefin übt sie im POLITICO-Interview aber nun scharfe Kritik.
— Von der Leyen 2: Europas oberste Staatsanwältin hat die EU-Kommission im Visier. Sie droht mit einer Klage, wie aus Dokumenten hervorgeht, die POLITICO vorliegen.
— Breton kommt nach Berlin: Der EU-Binnenmarktkommissar will den Konflikt mit Wirtschaftsminister Habeck über das umstrittene Satellitenprojekt IRIS2 beilegen.
— Höhere Hürden für Booking.com: Als erstes europäisches Unternehmen muss die Buchungsplattform im Rahmen des Digital Markets Acts strengere Vorgaben einhalten. Das entschied heute die EU-Kommission.
— Macron wirbt um Gunst von Investoren: Im Schloss Versailles trifft Frankreichs Präsident die Wirtschaftselite. Er kann auf frisches Kapital in Milliardenhöhe hoffen.
— EU rüstet sich gegen Fake-News zur Wahl: In Brüssel analysieren heute die Desinformationsexperten aller Mitgliedstaaten die Bedrohungslage. POLITICO sprach vorab mit ihnen.
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WORÜBER BRÜSSEL SPRICHT |
ÄRGER FÜR VON DER LEYEN: Spaniens Umweltministerin Teresa Ribera gilt als aussichtsreichste Kandidatin für den Kommissionsposten, der den Green Deal der EU verantwortet. Ein Grund für Zurückhaltung gegenüber ihrer möglichen künftigen Chefin — Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen — ist das aber nicht.
Der Rechtsflirt und das Aufweichen des Green Deals zeige „eine Haltung der Resignation, die enorm schädlich“ sei, sagte Ribera im POLITICO-Interview mit unseren Kollegen Karl Mathiesen und Aitor Hernández-Morales.
Es ist der bislang heftigste Frontalangriff einer angehenden Kommissarin auf von der Leyen. Letztere will nach den Wahlen im Juni erneut Kommissionspräsidentin werden — und würde in dem Amt ebenfalls die Besetzung der nächsten Kommission (mit-)bestimmen.
Es könnte knifflig werden: Ribera wird vom spanischen Premierminister Pedro Sánchez unterstützt, der sie zur Spitzenkandidatin der spanischen Sozialisten für die EU-Wahlen ernannt hat.
Von der Leyen braucht wiederum Sánchez’ Unterstützung, um eine zweite Amtszeit zu gewinnen.
Ribera will die EU-Umweltpolitik leiten. In der nun endenden Legislaturperiode war dies eines der wichtigsten Themen. In der kommenden Legislatur wird es vor allem darum gehen, dass die Mitgliedstaaten die Gesetze verabschieden.
Ribera will „kein Teil der Deko” sein, sondern sie will einen Job “mit Biss”, sagte sie kämpferisch.
Europa müsse damit beginnen, die Auswirkungen des Klimawandels in der gesamten Politik-Planung zu berücksichtigen. Es sei beispielsweise nicht vorteilhaft, Ziele für die Waldbewirtschaftung zu setzen, wenn dieselben Wälder verbrennen oder austrocknen.
Schockierend: Der jüngste Bericht der Europäischen Umweltagentur über das Klimarisiko Europas sei „so schockierend, dass ich nicht verstehe, warum man nicht viel mehr darüber gesprochen hat,” sagte Ribera.
Jedoch könnten laut Umfragen viele rechtsextreme Parteien mit anti-grüner Haltung im nächsten Europäischen Parlament stärker vertreten sein. Vergangenen Monat sagte von der Leyen, sie sei bei der Gesetzgebung offen für eine Zusammenarbeit mit einigen dieser Gruppen.
Diese „Annäherung ist eine schreckliche Strategie, die nur die extremsten Fraktionen ermutigt“, warnte Ribera. „Europa könnte in den nächsten fünf Jahren implodieren,“ sagte sie ebenfalls auf einer Veranstaltung zum Europe Day.
Politische Gegensätze innerhalb der Kommission sind nicht ungewöhnlich. Von der Leyens erster Green-Deal-Chef Frans Timmermans war — wie Ribera — ein überzeugter Sozialist. Wenn von der Leyen eine zweite Amtszeit gewinnt, sind zumindest Riberas Positionen klar.
ÄRGER MIT DER JUSTIZ: Europas oberste Staatsanwältin Laura Codruța Kövesi hat der EU-Kommission mit rechtlichen Schritten gedroht. Das berichtet unsere Kollegin Elisa Braun. Es geht um gekürzte IT-Budgets.
Kövesis Behörde hat von der Leyen ohnehin im Visier. Sie ist Leiterin der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO), die wegen Pfizer-Gate ermittelt – also Verhandlungen der Kommissionschefin mit dem Chef des Impfherstellers Pfizer während der Pandemie.
Anzeige ist (fast) raus: Am 9. April leitete Kövesi wegen Budgetkürzungen ein sogenanntes „gütliches Einigungsverfahren“ mit der Kommission ein. Dies ist der letzte rechtliche Schritt vor einem Gerichtsverfahren. Wenn keine Einigung erzielt werden kann, dürfte der Streit bis vor Gericht gehen.
Kövesis Brief wurde Anfang April an drei hochrangige Beamte der Kommission weitergeleitet, wie aus dem Dokument hervorgeht, das POLITICO vorliegt. Darin behauptet die EPPO-Chefin, dass die Kommission ihr die Mittel entziehen wolle, um ihre Arbeit effektiv durchzuführen.
Der Streitpunkt: Als EPPO im Sommer 2021 gegründet wurde, sagte die Kommission der Organisation Mittel für die IT zu — ohne dabei ein Enddatum zu nennen. Nun teilte die Kommission mit, dass sie die IT-Unterstützung für EPPO einstellen will. Nach Schätzungen von EPPO handelt es sich dabei um etwa fünf Millionen Euro.
Diese Entscheidung führe dazu, dass die „Staatsanwaltschaft der Union nicht mehr in der Lage sein wird, ihre Aufgaben und ihren Auftrag zu erfüllen”, warnte Kövesi. EPPO gab der Kommission 15 Tage, um den Brief zu beantworten.
Auflösung? Die Kommission habe daraufhin doch noch „ihre Bereitschaft bekundet, die IT-Dienste von EPPO in absehbarer Zukunft unter bestimmten Bedingungen weiter zu unterstützen”, sagte ein Pressesprecher. Außerdem wies er die Vorwürfe zurück, in die Unabhängigkeit von EPPO eingreifen zu wollen.
VERTEIDIGUNG |
BRETON AUF DEM WEG NACH BERLIN: Binnenmarktkommissar Thierry Breton wird am Donnerstag in Berlin erwartet. Er will mit Wirtschaftsminister Robert Habeck über das umstrittene EU-Satellitenkommunikationsprogramm IRIS2 sprechen.
Denn Berlin und Brüssel streiten sich über das milliardenschwere Projekt, das eine Art EU-Version von Starlink ist. Mit Hunderten von Satelliten soll eine verschlüsselte Internetkommunikation hergestellt werden, die Regierungen, Geheimdienste und Streitkräften nutzen können.
Der Knackpunkt: Zu Wettbewerbszwecken sollen die IRIS2-Verträge auch kleinen und mittleren Unternehmen offenstehen und nicht nur Unternehmen wie Airbus, Thales und OHB, die sich durch SpaceRise zusammengeschlossen haben. Die EU-Beschaffungsexperten prüfen momentan den endgültigen Vorschlag des Konsortiums SpaceRise, welches von Airbus geleitet wird.
Berlin vs. Brüssel: Breton will die Verträge noch vor dem Ende des Kommissionsmandats abschließen. Habeck will den Vorschlag jedoch auf Eis legen — was Brüssel kritisiert.
Deutschland will Wettbewerb, und habe „immer darauf gedrungen, dass es mehr als nur ein Konsortium gibt” und Mittelständler sowie Startups stärker eingebunden würden, sagte die Raumfahrtkoordinatorin der Bundesregierung, Anna Christmann, gegenüber Brussels Decoded.
Eine Geldfrage: Außerdem pocht Berlin darauf, „dass IRIS2 klug aufgesetzt wird, finanzierbar bleibt und einen Innovationsschub für Europa bringt”, sagte Christmann.
Leere Worte? Deutschland unterstützte trotzdem „IRIS2 weiterhin” und wolle es „gemeinsam mit der EU-Kommission zu einem europäischen Erfolg machen”, so Christmann.
Showdown: Am Donnerstag dürfte sich zeigen, ob sich Breton oder Habeck durchsetzt — oder ob eine mögliche Schlichtung vertagt wird.
AUßERDEM ERFAHREN ABONNENTEN des Defense Newsletters alle Details über Putins Neubesetzung im Verteidigungsministerium und was dies zu bedeuten hat. Außerdem geht es um Boris Pistorius, der eine Debatte über die Wehrpflicht anstoßen möchte.
WETTBEWERB |
NEUE REGULIERUNGSWELLE: Die EU-Kommission hat am Montagmittag die Online-Reiseplattform Booking.com als erstes europäisches Unternehmen im Rahmen des Digital Markets Act (DMA) als sogenannten Gatekeeper eingestuft.
Als Gatekeeper gelten Firmen, deren Entscheidungen direkten Einfluss auf eine große Zahl von Unternehmen und Verbrauchern haben. Booking.com hatte bereits im vergangenen Jahr die Schwelle von 45 Millionen monatlichen Nutzern überschritten.
Die Kommission bezeichnete Booking.com als „wichtige Schnittstelle zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ in der digitalen Wirtschaft. Neben Apple, Alphabet, Amazon, Meta, Microsoft und TikTok-Mutter ByteDance ist es das siebte Unternehmen, das als Gatekeeper eingestuft wurde.
Ab November wird Booking.com digitale Wettbewerbsregeln einhalten müssen, die das Unternehmen daran hindern, seine eigenen Dienste auf seiner Plattform gegenüber denen von Konkurrenten zu bevorzugen. Andere Gatekeeper mussten im März erhebliche Änderungen an ihren Plattformen wie Suchmaschinen und Browsern vornehmen, um den Regeln zu entsprechen.
Darüber hinaus leitete die EU eine fünfmonatige Untersuchung des sozialen Netzwerks X ein, um zu prüfen, ob es als Gatekeeper einzustufen ist. Andererseits haben die EU-Kommissare entschieden, den DMA nicht auf die Werbeaktivitäten von X und TikTok auszudehnen, da diese nicht als wichtige Schnittstellen fungieren.
AUSLÄNDISCHE UNTERNEHMEN IN PARIS: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wirbt heute im Schloss Versailles um Gelder von etwa 180 ausländischen Investoren. Die Summe von insgesamt 13 Milliarden Euro, die im vergangenen Jahr zusammenkam, wolle man übertreffen, teilte das Präsidialamt mit.
Deal! Amazon sowie der Düngemittelhersteller FertigHy werden Investments von jeweils 1,3 Milliarden Euro ankündigen. Pfizer wird 500 Millionen Euro zusätzlich zu einer bereits zugesagten Investition von einer Milliarde Euro aufbringen, AstraZeneca wird 365 Millionen Euro investieren und GSK 140 Millionen Euro. Das schweizerische Unternehmen KL1 wird 300 Millionen Euro für eine Nickelraffinerie und das deutsche Elektroflug-Unternehmen Lilium 400 Millionen Euro ausgeben.
Krönender Abschluss: Am Montagabend hält Macron eine Rede im Spiegelsaal. Frankreich ist der seltene europäische Gewinner bei den ausländischen Direktinvestitionen. Während die Gesamtinvestitionen in der EU im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit 2020 zurückgegangen waren, hat das Land die meisten Projekte erhalten.
TECH |
DESINFORMATION ZUR WAHL: Auf der Agenda in Brüssel stehen heute Fake News und ihre Gefahr für die Europawahl. In der belgischen Hauptstadt kommen Desinformationsexperten aus allen 27 Mitgliedsstaaten zu einer Konferenz zusammen.
Fünf Bedrohungen: Unsere Kollegen von Morning Tech sprachen im Vorfeld mit den führenden Köpfen der Konferenz. Darunter sind Giovanni Zagni, Fact-Checking-Direktor der Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO), Fact-Checking-Koordinator Tommaso Canetta und Programmdirektor Paolo Cesarini. Sie identifizieren fünf Bedrohungen für die Europawahl.
#1: Kommissionschefin im Visier: „Wir haben in den vergangenen Monaten viele Geschichten gesehen, die Ursula von der Leyen zum Ziel hatten“, sagte Zagni. Die Kommissionspräsidentin, die für eine zweite Amtszeit kandidiert, werde mit falschen Behauptungen attackiert, auch über ihre Familie. Außerdem seien Politiker, die ethnischen Minderheiten angehörten, laut Canetta besonders gefährdet.
#2: Klassische Themen: Klimapolitik, Migration und der Krieg in der Ukraine sind beliebte Themen für die — meist pro-russischen — Fake-News-Fabriken. Auch die Corona-Pandemie ist nach wie vor ein Thema.
#3: Gefälschte Webseiten als Vehikel: Ein Netzwerk aus Hunderten von pro-russischen Fake-News-Websites, das erstmals im Februar von den französischen Behörden aufgedeckt wurde, ist weiter gewachsen.
Aber: Die Seiten haben laut Canetta nur eine begrenzte Reichweite. „Es ist unklar, ob es sich um eine fehlgeschlagene Operation handelt oder ob wir es mit der ersten Phase einer Operation zu tun haben”, sagte er. In einer zweiten Phase könnten die Inhalte besser verbreitet werden.
#4: Fake-News über Wahlbetrug wahrscheinlich: Faktenprüfer haben derzeit noch keine größeren Unwahrheiten aufgedeckt, die das Vertrauen in die Integrität der EU-Wahlen untergraben. Aber das könnte nur eine Frage der Zeit sein.
Bei den Wahlen in Spanien, Polen und den Niederlanden im Jahr 2023 hat es in allen Ländern falsche Informationen über angeblichen Wahlbetrug gegeben. Dazu zählte die weit verbreitete Behauptung, dass Einwanderer oder ukrainische Flüchtlinge wählen dürften, sagte Zagni.
#5: Wachsam bleiben: In der Slowakei tauchte 48 Stunden vor der Wahl eine von Künstlicher Intelligenz erstellte Aufnahme eines Kandidaten auf, der über Wahlmanipulation sprach. „Wenn so etwas auftaucht, dann zu einem späteren Zeitpunkt“ vor den EU-Wahlen, sagte Canetta. Zagni sagte, dass die Woche vor der Wahl die riskanteste Zeit für Desinformation sei.
WORÜBER BRÜSSEL SONST NOCH SPRICHT |
— SEPARATISTEN VERLIEREN DIE WAHL: Die Sozialistische Partei von Pedro Sánchez hat bei den Regionalwahlen in Katalonien am Sonntag die meisten Stimmen erhalten. Das Ergebnis stärkt den spanischen Premierminister und ist ein Rückschlag für Carles Puigdemonts’ Separatistenbewegung. Mehr berichten unsere Kollegen hier.
— STREIT UM EUROVISION SONGCONTEST: Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas kritisierte gegenüber POLITICOs Brussels Playbook die Entscheidung der European Broadcasting Union (EBU), das Zeigen der EU-Fahne während des Wettbewerbs zu verbieten. „Es ist unglaublich, was die EBU getan hat“, sagte sie.
— EU LOCKERT MASSNAHMEN FÜR LANDWIRTE: Der Europäische Rat hat heute „endgültig grünes Licht für” Lockerungen der Umweltstandards für Bauern gegeben. Anfang des Jahres haben Bauern an vielen Orten Europas sowie in Brüssel stark und zum Teil gewalttätig gegen die Europäische Gemeinsame Agrarpolitik protestiert. Die EU machte den Landwirten daraufhin Zugeständnisse, welche das Europäische Parlament bereits am vergangenen Mittwoch absegnete.