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Das Briefing dazu, wie sich Entscheidungen in Brüssel auf Sie auswirken. Mit dem Wissen des größten Newsrooms der europäischen Hauptstadt.
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von JÜRGEN KLÖCKNER
Mit JULIUS BRINKMANN und LAURA HÜLSEMANN
DIE TOP-THEMEN |
— Georgiens Beitrittsperspektive ungewiss: Der EU-Außenbeauftragte hat nach langem Zögern den Beschluss des umstrittenen Agentengesetzes verurteilt.
— Sanktionen gegen Türkei gefordert: Russland hat mit verdeckten Öllieferungen an die EU offenbar Hunderte Millionen an Steuergeldern erzielt. Damit soll bald Schluss sein.
— Nächster Chip-Krieg mit China: Die Kommission fürchtet um Europas Vormacht bei älteren Mikrochips — und leitet die nächste Untersuchung ein.
— Grüne fordern Tech-Deal für Europa — und legen einen Plan vor, um den Standort nach der Wahl wettbewerbsfähiger zu machen.
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WORÜBER BRÜSSEL SPRICHT |
BRÜSSEL BRICHT SCHWEIGEN: Die EU hat nach langem Zögern auf den Beschluss des umstrittenen Agenten-Gesetzes in Georgien reagiert. Es enthält nach russischem Vorbild verschärfte Rechenschaftspflichten für ausländische Nichtregierungsorganisationen, Aktivisten und Medienhäuser.
Beitrittsperspektive ungewiss: Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte am Mittwochvormittag, dass „der Geist und der Inhalt des Gesetzes nicht mit den Kernnormen und -werten der EU übereinstimmen“.
Das ist zwar keine Absage an einen möglichen EU-Beitritt. Georgien wurde im Dezember 2023 der Status eines Bewerberlandes zuerkannt. Allerdings erklärten bereits vor der Entscheidung von Dienstagmittag einige Vertreter von Mitgliedsstaaten, dass das Gesetz die Beitrittsperspektive gefährden könne.
Borrell sagte dazu: Das Gesetz werde „die Arbeit der Zivilgesellschaft und der unabhängigen Medien untergraben“. Die Versammlungsfreiheit und die freie Meinungsäußerung seien allerdings Grundrechte, „die Georgien im Rahmen des Assoziierungsabkommens und auf dem Weg zum EU-Beitritt zugesagt hat“.
Nach Georgiens Beschluss am Dienstag rang die EU lange um eine Reaktion. Ungarn hatte am Montag eine gemeinsame Erklärung der Mitgliedstaaten blockiert. Borrell und der EU-Erweiterungsbeauftragter Olivér Várhelyi wollten deswegen eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlichen. Doch Várhelyi — der ebenfalls aus Ungarn kommt — war mit der Formulierung nicht einverstanden.
Ein Versehen? Das heutige Statement wurde erst als gemeinsame Erklärung von Borrell und Várhelyi veröffentlicht. Doch kurz nach der Veröffentlichung wurde Várhelyis Name aus der Erklärung wieder gestrichen — und durch „die Europäische Kommission“ ersetzt.
Interpretationssache: Ein Sprecher der Kommission erklärte gegenüber POLITICO, dass die Änderung keine Meinungsverschiedenheit an der EU-Spitze widerspiegele. Stattdessen sei die Botschaft im Namen „der gesamten Kommission, also breiter und umfassender“ sei als die ursprüngliche Version.
In Georgien selbst kam es rund um die Entscheidung zu großen Demonstrationen. „Wir sind auf dem Weg nach Europa oder auf dem Weg nach Belarus“, sagte ein Kritiker unseren Kollegen Dato Parulava und Gabriel Gavin in Tiflis.
Borrell zeigte sich solidarisch: „Die EU steht an der Seite des georgischen Volkes und seiner Entscheidung für die Demokratie und die europäische Zukunft Georgiens“, sagte er. Einschüchterungen, Drohungen und körperliche Angriffe seien inakzeptabel. „Wir fordern die georgischen Behörden auf, diese dokumentierten Vorfälle zu untersuchen“, sagte Borrell.
PUTIN BEI XI: Unterdessen besucht Russlands Präsident am Donnerstag seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping in Peking — und zeigt sich offen für Chinas Friedenspläne in der Ukraine.
„Wir bewerten Chinas Ansatz zur Lösung der Ukraine-Krise positiv“, sagte Putin laut einer Mitschrift des Interviews, die im Vorfeld der Reise auf der Website des Kremls veröffentlicht wurde.
Chinas 12-Punkte-Plan: China veröffentlichte vergangenes Jahr seine allgemeinen Grundsätze für die Beendigung des Krieges, die von den USA und EU-Partnern als pro-russische Forderungen kritisiert wurden.
ENERGIE UND KLIMA |
TÜRKEI FÜLLT PUTINS KRIEGSKASSE: Russland hat im vergangenen Jahr offenbar Hunderte von Millionen an Steuereinnahmen erzielt, indem es die Türkei als Standort zur Verlagerung von sanktionierten Kraftstoffen nutzte. In der EU gibt es nun lautstarke Forderungen, die Türkei zu sanktionieren.
Ein Schlupfloch? Die russischen Rohstoffe werden in der Türkei als türkisch etikettiert und weiter in die EU verschifft. Wie groß das Ausmaß ist, geht nun aus Untersuchungen des Centre for Research on Energy and Clean Air, des Center for the Study of Democracy und aus Recherchen von POLITICO hervor.
Trick 17: Laut EU-Sanktionen dürfen russische Treibstoffe — wenn sie mit Treibstoffen anderer Länder zu einem neuen Produkt vermischt werden — weiterhin in die EU eingeführt werden. Der Ursprung der Fracht muss lediglich durch ein Dokument bewiesen werden, das leicht zu fälschen ist.
Partner in Crime: Allein drei türkische Häfen konnten durch das Schlupfloch im Jahr nach Beginn der Sanktionen im Februar 2023 wahrscheinlich bis zu drei Milliarden Euro umsetzen, wie aus den vorliegenden Untersuchungen hervorgeht.
Diese drei Häfen — Ceyhan, Marmara Ereğlisi und Mersin — haben keine Raffineriezentren und importierten zu dem Zeitpunkt 86 Prozent des Öls aus Russland.
Türkisches Vergnügen: Als die EU und die G7 vergangenes Jahr im Februar raffinierte Treibstoffe sanktionierten, verdoppelte die Türkei den Ölimport aus Russland. Zeitgleich begann die EU doppelt so viel Öl aus der Türkei zu importieren.
Machtlos ist die EU nicht. Das nächste Sanktionspaket soll voraussichtlich im Sommer verabschiedet werden. Ein führender EU-Diplomat sagte POLITICO, es sei nun an der Zeit, darin auch Sanktionen gegen türkische Firmen zu erwägen, die Russland helfen.
Auch Estland fordert, den verdeckten Ölhandel einzuschränken. „Wir müssen die Zügel anziehen und Wege finden, die Umgehung von Sanktionen zu verhindern“, sagte Margus Tsahknam der Außenminister des Landes, gegenüber POLITICO.
AUßERDEM ERFAHREN ABONNENTEN des Energy-and-Climate-Newsletters, wofür 60 Länder etwa 2,2 Milliarden Euro versprochen haben. Außerdem war der vergangene Sommer laut einer Studie der wärmste seit zwei Jahrzehnten.
WETTBEWERB´ |
NÄCHSTER CHIP-KRIEG: Brüssel will verhindern, dass Europa in einer weiteren Branche gegen hochsubventionierte Firmen aus China verliert. Im Fokus stehen bereits E-Autos und Hightech-Mikrochips. Nun nimmt sich die EU-Kommission auch Lowtech-Mikrochips vor.
Bis Spätsommer will Brüssel Ergebnisse einer Untersuchung dazu vorlegen, wie die Kommission gegenüber POLITICO bestätigte. Bis dahin werden Hersteller und Kunden älterer Mikrochips befragt. Die Kommission will prüfen, ob eine Abhängigkeit von chinesischen Lieferanten besteht.
Größtes Sorgenkind: Die EU befürchtet, dass sie ihre Marktmacht in der Branche bei den sogenannten legacy microchips verliert. Dabei handelt es sich um Technologie der älteren Generation, die in Autos, Haushaltsgeräten und medizinischen Geräten eingesetzt wird. Der Schritt folgt einer ähnlichen Maßnahme in den USA, wo die Regierung im Januar eine Umfrage zu diesem Thema gestartet hat.
„Arbeitstiere“-Chips auf Pekings Radar: Auf einem hochrangigen Gipfeltreffen zwischen EU- und US-Spitzenbeamten im April in Belgien warnte US-Handelsministerin Gina Raimondo, dass solche Mikrochips das nächste Gebiet seien, das Peking erobern wolle.
Es steht viel auf dem Spiel: „Wir wissen, dass diese Industrie von der chinesischen Regierung massiv subventioniert wird, was zu enormen Marktverzerrungen führen könnte“, sagte Raimondo und schätzte, dass China rund 60 Prozent der Chips produzieren wird, die in den nächsten Jahren auf den Markt kommen.
Das erinnert an Strategien, die Europa und USA entwickelten, um China den Zugang zu Hightech-Mikrochips zu verwehren. Ältere Chips wiederum sind leichter herzustellen, für Spitzentechnologien wie Smartphones aber nicht geeignet. In Europa sind sie vor allem bei E-Auto-Herstellern gefragt.
Das Unternehmen Infineon aus Deutschland, NXP aus den Niederlanden und die französisch-italienische Firma STMicro sind in diesem Bereich führend, wie ein Bericht zeigt. Sie beliefern auch chinesische Autohersteller.
Die EU-Behörden untersuchen bereits, ob chinesische Elektroautohersteller wie BYD die europäische Konkurrenz durch staatliche Subventionen in unfairer Weise unterbieten. Die Untersuchung hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer jährlichen Rede zur Lage der EU im vergangenen Jahr angekündigt
AUßERDEM LESEN ABONNENTEN des Fair-Play-Newsletters, wie der Bericht des ehemaligen EZB-Chefs Mario Draghis zur Zukunft des europäischen Binnenmarktes aussehen könnte. Die Kollegen berichten auch, warum das britische Gesetz zum digitalen Wettbewerb erneut im House of Lords gescheitert ist.
TECH |
GREENS GO TECH: Um Europas IT-Sektor vor der chinesischen und amerikanischen Konkurrenz zu stärken, fordern der Grünen-Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky und die Start-up-Beauftragte der Bundesregierung, Anna Christmann, einen European Tech Deal.
Große Hoffnungen: Die Initiative nach dem Vorbild des europäischen Green Deal soll Europa als führende Drehscheibe für technologische Innovationen positionieren und gleichzeitig die Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels ergänzen. In dem Dokument auf Englisch, über das POLITICO zuerst berichtete, heißt es: „Technologische Innovation und Demokratie gehören zusammen, genau wie Technologie und Klimaschutz.“ Der Ansatz könnte „eine neue Dynamik für einen innovativen Kontinent entfachen“.
Es gibt viel zu tun: Damit das gelinge, müssten Talente angezogen, privates Kapital für Forschung und Entwicklung gestärkt und die Koordinierung europäischer Technologieinitiativen verbessert werden. Christmann und Lagodinsky fordern außerdem, die Vorschriften für Unternehmen zu vereinfachen, damit sich diese schneller in Europa niederlassen können.
X WIRFT CONTENT-MODERATOREN RAUS: Das soziale Netzwerk hat die Zahl der Beschäftigten drastisch reduziert, die auf der Plattform veröffentlichte Inhalte überprüfen. „Effektiver ist, automatisierte Tools zu haben als menschliche Ressourcen”, sagte die Leiterin für EU-Angelegenheiten von X.
Anna Zizola, frühere Top-Beamtin in Brüssel, arbeitet seit acht Monaten für das Unternehmen. Auf einer Podiumsdiskussion über die Gefährdung von Wahlen durch Desinformation am Dienstag nannte sie den Stellenabbau einen Weg, “effizienter zu werden”.
Die EU-Kommission sieht das anders. Seit Dezember 2023 ermittelt sie gegen X wegen mutmaßlicher Verstöße gegen den Digital Services Act, darunter unzureichender Zugang zu Daten, fehlende Maßnahmen zur Eindämmung illegaler Inhalte und Desinformation. X hat demnach einen Rückgang von zwanzig Prozent bei den moderierten Inhalten und keine Abdeckung für Sprachen wie Polnisch, Lettisch, Kroatisch und Bulgarisch gemeldet.
In der Branche gilt es als übliche Praxis, Inhalte sowohl von Künstlicher Intelligenz wie auch von Beschäftigten überprüfen zu lassen. Die Algorithmen liefern in manchen Fällen noch unzuverlässige Ergebnisse.
AUßERDEM LESEN ABONNENTEN des Tech-Newsletters, wie sich die EU-Kommission auf russische und chinesische Desinformationsnarrative vorbereitet, während Google 15 Millionen Euro für europäische Projekte zum Schutz und zur Förderung der Demokratie bereitstellt.
WORÜBER BRÜSSEL SONST NOCH SPRICHT |
— BUY EUROPEAN: Die französischen Politiker Jean-Louis Thiériot und Jean-Charles Larsonneur stellen heute in der Nationalversammlung die Ergebnisse ihres Berichts zu der Frage vor, warum europäische Länder amerikanische Waffen kaufen. Ziel ist, die Rüstungsindustrie unabhängiger von den USA zu machen. Mehr gibt es hier.
— ENTSCHEIDUNG ÜBER RECHTE KOALITION NAHT: In den Niederlanden könnten die vier rechten Parteien das Ergebnis ihrer Koalitionsverhandlungen bekanntgeben. Wahlsieger Geert Wilders sieht sechs Monate nach den Parlamentswahlen gute Chancen auf ein Bündnis.
KORREKTUR: In unserem gestrigen Newsletter haben wir Kanzler Olaf Scholz ein Zitat zugeordnet, das von Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson stammt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.