US-Zölle setzen EU unter Druck

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Das Briefing dazu, wie sich Entscheidungen in Brüssel auf Sie auswirken. Mit dem Wissen des größten Newsrooms der europäischen Hauptstadt.

Pro Brussels Decoded Deutschland

By JÜRGEN KLÖCKNER

Mit LAURA HÜLSEMANN und JULIUS BRINKMANN

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DIE TOP-THEMEN

— Unter Zugzwang: Die hohen Zölle der USA auf chinesische Produkte sind nun offiziell. Europa aber ringt noch um eine Entscheidung — und Kanzler Scholz warnt vor den Folgen. 

— Georgien wendet sich von Europa ab: Das Parlament verabschiedete am Dienstnachmittag das umstrittene Agentengesetz.

— Kampf gegen Putins Trolle: Auf dem Democracy Summit hat Kommissionschefin von der Leyen ein Desinformationsgesetz gefordert. 

— Finanzministertreffen 1: Zwei wichtige Steuerreformen standen heute auf der Agenda. Eine scheiterte an der Blockade eines Landes, bei einer anderen gab es einen Kompromiss.

— Finanzministertreffen 2: Die Asylreform kann kommen. Die EU-Länder stimmten dem Vorhaben heute final zu.

— Boost für erneuerbare Energien: Die neuen Empfehlungen der EU stoßen ausgerechnet bei Umweltschutzorganisationen auf Widerstand. 

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WORÜBER BRÜSSEL SPRICHT

USA SCHOTTEN SICH AB: US-Präsident Joe Biden will die Einfuhrzölle auf chinesische Produkte drastisch erhöhen. Das hat das Weiße Haus am Dienstag bekanntgegeben — und damit Europa unter Zugzwang gesetzt. 

Konkret wollen die USA die Zölle auf chinesische E-Autos auf 100 Prozent vervierfachen, während die Zölle auf chinesische Solarzellen auf 50 Prozent verdoppelt werden. Die Zölle auf Halbleiter sollen wiederum auf 50 Prozent verdoppelt und für Batterien mit 25 Prozent mehr als verdreifacht werden. 

Wie nervös Europas Regierungen nun sind, zeigte eine erste Reaktion von Kanzler Olaf Scholz am Dienstagmittag in Schweden.

Scholz warnte vor „dummen“ Zöllen. „Wir wollen den globalen Handel nicht zerlegen“, sagte er. Strafzölle als Patentlösung seien keine gute Idee für Import- und Exportländer. Das sei „gemeinsame Sichtweise“ in der EU.

Berlin stellt sich hingegen hinter den Kulissen bereits darauf ein, dass die EU im Sommer Strafzölle auf subventionierte E-Autos aus China erheben könnte. Die deutsche Sorge: Peking reagiert mit Strafen auf europäische Produkte, die der ohnehin angeschlagenen deutschen Autoindustrie enorm schaden würde. 

Scholz sagte: „Europäische Hersteller, und auch einige amerikanische, sind erfolgreich auf dem chinesischen Markt und verkaufen auch sehr viele Fahrzeuge, die in Europa produziert werden, nach China.“

Allerdings — so die Argumentation in Brüssel und einigen EU-Ländern — sei eine Flut von billigen E-Autos aus China die viel größere Gefahr für die hiesige Industrie. 

Nach den Ankündigungen aus den USA fürchtet Europa umso mehr, mit billigen Produkten aus China überschwemmt zu werden. Handeln will Brüssel aber erst, wenn die laufende Untersuchung der chinesischen Subventionen auf E-Autos abgeschlossen ist. 

Wird Brüssel mit den USA gleichziehen? Nein, lautet die kurze Antwort. Die längere Antwort ist wahrscheinlich nein, denn die EU will sich an die globalen Handelsregeln halten. 

Abgesehen davon: Nachdem die Kommission den von der Untersuchung betroffenen chinesischen Herstellern mitgeteilt hat, dass sie nicht genügend Informationen vorgelegt haben, hat sie praktisch freie Hand bei der Festlegung der Zölle. 

Aber: Die EU-Zölle müssen auf Fakten beruhen, argumentiert die Kommission.

Paris est d’accord: „Die Kommission braucht in dieser Frage keinen Druck, sie ist überzeugt, dass bei Elektroautos etwas getan werden muss“, sagte ein französischer Beamter unserer Brüsseler Kollegin Camille Gijs. „Die amerikanische Entscheidung bestärkt sie nur in ihrer Entschlossenheit.“

„Machen wir uns nichts vor: Wir werden keinen 100-Prozent-Tarif einführen, der den Zugang zum europäischen Markt für chinesische Elektroautos im Allgemeinen verhindern würde, aber wir müssen effektiv reagieren“, fügte der Beamte hinzu.

Umgehungsmöglichkeiten: In der Hoffnung, die von den USA und der EU verhängten Zölle auf chinesische Autos zu umgehen, könnten die Hersteller beschließen, sich in einer Freihandelszone oder im Binnenmarkt niederzulassen, wie es bereits in Mexiko und Ungarn der Fall ist.

VERTEIDIGUNG

EUROPAS DEMOKRATIEN GEGEN PUTIN: Auf dem Democracy Summit in Kopenhagen haben europäische Spitzenpolitiker heute in teils drastischen Worten vor einer wachsenden Bedrohung durch Russland gewarnt.

Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte in ihrer Rede am Dienstagvormittag an, im Falle einer zweiten Amtszeit entschieden gegen ausländische Desinformationen vorgehen zu wollen. 

Der „European Democracy Shield“ solle die Demokratien des Kontinents gegen ungewollte Einflussnahme abschotten. Ziel sei es, ausländische Desinformation zu erkennen und zu reduzieren. Dafür könnten auch die Geheimdienste der Mitgliedstaaten enger zusammenarbeiten. 

Mit Blick auf die Europawahlen Anfang Juni warnte sie vor „zunehmender ausländischer Manipulation in unserer Gesellschaft, unserer Demokratien und unserer Wahlen“. Technologien entwickelten „sich momentan so schnell, dass die Gesellschaft sich nicht anpassen oder reagieren kann“, warnte die Kommissionschefin. 

Deutliche Worte an den Kreml: Putin gehe es darum, „eine freie und unabhängige Ukraine von der Landkarte zu fegen“, warnte von der Leyen. Er kämpfe gegen das internationale Regelsystem, gegen Demokratien, gegen die EU und gegen Freiheit. 

Quasi zeitgleich vermeldete Chinas Außenministerium, dass Putin diese Woche nach China zu Xi Jinping reisen wird. Es ist die zweite Reise des russischen Präsidenten innerhalb von sechs Monaten. 

Düstere Aussichten formulierte die dänische Premierministerin Mette Frederiksen. Ihr Appell: Die Ukraine benötige Kampfjets, Drohnen, Munition und Luftverteidigung, um zu gewinnen. „Sonst verliert die Ukraine, sonst verliert Europa.“ Russland werde „nicht aufhören“ und greife schon jetzt Europa an — mit Cyberattacken und hybriden Operationen, „um uns alle unter Druck zu setzen“.

DERWEIL SCHAUT EUROPA NACH GEORGIEN. Heute verabschiedete das Parlament das umstrittene, nach Russlands Vorbild gebaute „ausländische Agenten“-Gesetz. Nach Ansicht von führenden EU-Politikern werden Beitrittsverhandlungen damit unmöglich. 

Gestern Abend versuchten EU-Diplomaten noch einen gemeinsame Reaktion zu koordinieren, wie unser Kollege Jakob Vela Hanke erfuhr. Doch ausgerechnet der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán — Putins Freund und Helfer — blockierte das Vorhaben.

Seitenhieb an Orban? Heute kritisierte von der Leyen — ohne Namen zu nennen — solche Machtspielchen. Wollen wir ein starkes Europa, oder „lassen wir zu, dass unsere Demokratien von autoritären Machthabern und Marionetten gekapert werden?“, fragte sie in Kopenhagen.

AUßERDEM ERFAHREN ABONNENTEN des Defense Newsletters, warum Airbus die Europäische Verteidigungsagentur auf 21 Millionen Euro verklagt.

FINANZEN

BLOCKADE AUF DEM EU-FINANZMINISTERTREFFEN: Die belgische Ratspräsidentschaft hatte gehofft, beim heutigen Gipfel in Brüssel zwei wichtige Steuervorhaben durchzubringen — zur digitalen Mehrwertsteuer und zu Steuerrückerstattungen. Doch ersteres erzielte am Dienstagmittag nicht die erforderliche Einstimmigkeit.

Die digitale Mehrwertsteuer soll insbesondere Tech-Plattformen wie Bolt und Airbnb stärker belasten. Die Kommission ist der Ansicht, dass digitale Transport- und Unterkunftsvermittler Milliarden wert sind und ihren gerechten Anteil an Steuern zahlen sollten. Brüssel argumentiert, die Mehrwertsteuerbefreiung verschaffe diesen Tech-Unternehmen einen massiven Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten, darunter Hotelbesitzer und Taxifahrer.

Das wollte Estland nicht mittragen — der Finanzminister des Landes, Mart Võrklaev, hat die Initiative deswegen heute blockiert. Denn der Mobilitätsanbieter Bolt hat seinen Sitz in der estnischen Hauptstadt Tallinn. 

Der kleine baltische Staat argumentiert, dass der Brüsseler Vorschlag digitale Unternehmen benachteiligen würde. Aus estnischen Regierungskreisen hieß es gegenüber unseren Kollegen Gregorio Sorgi, Bjarke Smith-Meyer und Kathryn Carlson, dass nach dem EU-Vorschlag beispielsweise die Buchung einer Wohnung über Airbnb mehr kosten würde als die Buchung über eine andere Website oder ein Reisebüro.

Tallinn möchte diese Regeln freiwillig anwenden. Das ist für andere EU-Länder ein No-Go. Sie warnen, dass ein solches Zugeständnis das gesamte Vorhaben kippen würde.

Zweiter Knackpunkt: Die belgische EU-Ratspräsidentschaft will heute einen weiteren Gesetzentwurf verabschieden. Die sogenannte FASTER-Regelung soll Steuererstattungen in der gesamten EU beschleunigen. Polen und Tschechien waren zunächst dagegen, haben aber offenbar ihre Blockade aufgehoben.

Veto zurückgezogen: Tschechien habe nun sein Veto gegen das Gesetz zurückgezogen, sagten zwei Diplomaten gegenüber POLITICO. „Ich kann sagen, dass wir den Kompromisstext positiv bewertet haben“, sagte ein tschechischer Beamter.

Der letzte Kompromiss: Die EU schlug vor, die neuen Regeln nur auf Länder anzuwenden, deren Unternehmen mehr als 1,5 Prozent des Gesamtwerts aller EU-Unternehmen ausmachen. Damit wäre Tschechien nicht betroffen. 

Fazit: Bürokratieabbau und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit hören sich in jedem Brüsseler Bericht gut an. Doch der Teufel steckt im Einstimmigkeitsprinzip.

AUßERDEM LESEN ABONNENTEN des Financial Services Newsletters, warum europäische Banken bei der Kreditvergabe für fossile Brennstoffe nicht mehr führend sind. Außerdem: Nachdem die Europäische Investitionsbank ihre Regeln für Verteidigungsausgaben überarbeitet hat, wird sie ihr Rating offenbar nicht verlieren.

ENERGIE UND KLIMA

BOOST FÜR GRÜNE ENERGIE: Die Europäische Kommission hat neue Empfehlungen veröffentlicht, um erneuerbare Energien zu fördern. Demnach will die EU den Anteil der grünen Energieträger bis 2030 auf 42,5 Prozent erhöhen. Im Jahr 2022 lag dieser bei 23 Prozent. 

Luft nach oben: Vergangenes Jahr gab es zwar ein Rekordausbau von Wind- und Solarenergie — doch die EU habe noch viel zu tun, um ihre Ziele zu erreichen, warnen Branchenvertreter. 

Teil der Empfehlungen sind die einfachere Projektauktionen und Genehmigungen und eine Koordinierungsplattform für Ausschreibungen. Anwohner sollen außerdem frühzeitig in die Projekte einbezogen werden. Zudem sollen verschiedenen Regierungsebenen zusammenarbeiten, um den Bau von erneuerbaren Energien zu beschleunigen.

Einige sind zufrieden: Walburga Hemetsberge, Geschäftsführerin der Lobbyvereinigung SolarPower Europe, findet die Leitlinien „gut“.

Aber längst nicht alle: Die Empfehlungen sehen vor, gewisse Gebiete zu „Beschleunigunggebieten“ zu machen, wo Projekte schnell genehmigt werden können. Doch daran üben ausgerechnet Umwelt-NGOs Kritik. 

Die EU sei für diese Beschleunigungsgebiete „schlecht vorbereitet“, warnte eine Gruppe, zu der die Umweltschutzorganisationen WWF, CAN Europe und BirdLife International gehören. Sie „betonen, wie wichtig es ist, bei der Ermittlung geeigneter Gebiete die höchsten Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten“, sagte Kampagnenmanagerin Seda Orhan von CAN Europe.

Die EU-Energiechefin Kadri Simson stellt Industrievertretern die Empfehlungen heute vor. Mehr Details gibt es hier von unserem Kollegen Victor Jack. 

AUßERDEM LESEN ABONNENTEN des Energie und Klima Newsletters, warum die zunehmende Deindustrialisierung Politikern große Sorgen bereiten sollte und wie die EU in naher Zukunft ihre Energiepreise senken könnte.

WORÜBER BRÜSSEL SONST NOCH SPRICHT

GUTER DEAL FÜR MACRON: Treue Leser des EU Decodeds erfuhren gestern schon, dass der französische Präsident Emmanuel Macron hohen Besuch von etwa 180 Investoren bekam. Sein Wirtschaftsgipfel brachte ihm eine Rekordsumme von 15 Milliarden Euro ein, berichten unsere Kollegen Clea Caulcutt, Paul de Villepin und Giovanna Faggionato. 

 MIGRATIONSDEAL: Der europäische Asyl- und Migrationsdeal wurde heute verabschiedet. Das Paket beinhaltet schnellere Asylverfahren an den Außengrenzen. Außerdem sollen EU-Staaten, in denen besonders viele Asylbewerber ankommen, stärker unterstützt werden. Hier sind die Details zum Nachlesen. 

WER IST ANDREI BELOUSOV? Nach der überraschenden Kabinettsumbildung im Kreml liegt das Verteidigungsressort in den Händen eines keynesianischen Ökonomen, der noch keinen Tag in der Armee gedient hat. Unsere Kollegin Eva Hartog untersucht, wie Andrej Belousow zu einem der höchsten Kremlbeamten wurde und was sein Profil darüber aussagt, wie Putin den Krieg in der Ukraine gewinnen will.

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