ARTICLE AD BOX
Das Briefing dazu, wie sich Entscheidungen in Brüssel auf Sie auswirken. Mit dem Wissen des größten Newsrooms der europäischen Hauptstadt.
Im Browser anzeigen oder hier anhören |
von JÜRGEN KLÖCKNER
Mit LAURA HÜLSEMANN UND JULIUS BRINKMANN
DIE TOP-THEMEN |
— Krah im Visier: In Brüssel haben Ermittler das Büro des AfD-Europaabgeordneten durchsucht. Es lief aber nicht alles wie geplant.
— Kampfansage an Peking: EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat auf ihrer Berlin-Reise mögliche Strafzölle gegen China verteidigt — und sich zum geplanten Einstieg von Lufthansa bei der italienischen Airline ITA geäußert.
— Xi Jinping in Serbien und Ungarn: Der chinesische Präsident wirbt für einen Anti-NATO Kurs, hat jedoch wenig Aussicht auf Erfolg.
— Neue EU-Sanktionen gegen LNG: Zum ersten Mal seit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine will die Kommission auch russisches LNG sanktionieren. Putins Kriegskassen dürften sich aber weiter füllen.
— Appell aus Kiew: Ukraines Industrieminister Oleksandr Kamyshin fordert westliche Partner im Interview auf, in die heimische Rüstungsindustrie zu investieren.
— London meldet Cyberangriff: Das britische Verteidigungsministerium ist ins Visier von Hackern geraten. Der Verdacht fällt auf China.
Willkommen zur ersten Ausgabe bei Brussels Decoded, dem werktäglichen Europa-Briefing von POLITICO zur Mittagszeit. Mein Name ist Jürgen Klöckner — und ich informiere Sie hier künftig mit meinen Kollegen Laura Hülsemann und Julius Brinkmann über die aktuellen Entwicklungen in den Machtzentralen Europas.
Senden Sie Tipps an jkloeckner@politico.eu, lhulsemann@politico.eu und jbrinkmann@politico.eu.
Oder folgen Sie uns auf X: @herrkloeckner, @hulsemannLaura und @juliusbri_.
WORÜBER BRÜSSEL SPRICHT |
KRAH IM VISIER: Die Bundesanwaltschaft hat heute morgen Büroräume des AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah und seines früheren Mitarbeiters Jian Guo untersucht, der unter Spionageverdacht für China steht. Das Europäische Parlament hatte dem Betreten der Räume zugestimmt, teilte die Karlsruher Behörde mit.
Es ging chaotisch zu: Offenbar lief die Durchsuchung nicht wie geplant. Weil die Namensschilder der Büros falsch angebracht waren, durchsuchten die Beamten einen falschen Schreibtisch. Jener von Jian Guo blieb zuerst unangetastet, wie unsere Kollegin Pauline von Pezold erfuhr. Als der Fehler auffiel, dauerte es fast zweieinhalb Stunden, bis der Durchsuchungsbefehl für das richtige Büro kam.
KAMPFANSAGE AN PEKING: EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager nutzte ihren Kurzbesuch am Montag in Berlin, um über mögliche Strafzölle gegen China zu sprechen. Ihre Warnungen kamen zeitgleich zur Europareise des chinesischen Präsidenten Xi Jinping.
Autoindustrie im Visier: „Wenn wir sehen, dass es Subventionen gibt“, sagte sie Brussels Decoded mit Blick auf die chinesischen Hersteller von E-Fahrzeugen, seien Zölle ein legitimes Mittel, um für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen.
Die Sorge in Berlin ist, dass Peking eigene Strafzöllen oder andere Beschränkungen auf europäische Autos erhebt. Diese würden die von China abhängige und angeschlagene deutsche Industrie hart treffen. „Diese Bedenken hat nicht nur Deutschland“, sagte die Kommissarin. Schließlich gebe es Zulieferer in ganz Europa.
Vestager beschwichtigt: Kurzfristig gebe es zwar dieses Risiko. Langfristig aber brauche es faire Wettbewerbsbedingungen. „Sonst wird es für europäische Hersteller sehr schwer, zu konkurrieren“, sagte die Dänin.
Baldige Entscheidung: Schon in einem knappen Monat will die EU-Kommission chinesische Autobauer über mögliche EU-Strafzölle informieren — und in Brüssel, aber auch im Kanzleramt, zweifelt kaum noch jemand daran, dass die Zölle kommen werden. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warnte am Montag in Paris: „Europa wird nicht zögern, harte Entscheidungen zu treffen.”
BOTSCHAFT AN LUFTHANSA: Vestager beschäftigt noch ein zweites, aus deutscher Sicht wichtiges Thema. Sie droht mit einem Veto gegen den Einstiegs der Lufthansa bei der italienischen Fluggesellschaft ITA.
Vestagers Appell: „Wenn schwerwiegende Wettbewerbsfragen nicht gelöst werden können, können wir die Transaktion nicht genehmigen“, sagte sie. „Es ist Sache der Unternehmen, Abhilfemaßnahmen für diese Wettbewerbsrisiken zu finden.“
Neues Angebot: Wie das italienische Finanzministerium am Dienstag mitteilte, unterbreitete ITA der EU-Kommission fristgerecht weitere Zugeständnisse. Zu Details äußerten sich die Beteiligten bis Redaktionsschluss nicht. Laut Informationen unserer Kollegin Giovanna Faggionato sieht die Kommission die Probleme bei einigen wenigen Flugrouten.
Optimismus: Lufthansa teilte mit, dass das Angebot stark verbessert worden sei. Unternehmenschef Carsten Spohr sagte auf der Hauptversammlung, dass er weiterhin für den Sommer von einer positiven Entscheidung ausgehe. Um 14 Uhr gibt zudem Wettbewerber Ryanair eine Pressekonferenz zu dem Thema.
REISE GEHT WEITER: Heute Abend wird Xi von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verabschiedet. Es geht jedoch weder nach Brüssel, Berlin noch nach Rom — sondern er steuert die prorussischen Länder Serbien und Ungarn an.
Xis Anti-NATO-Tour: Xi wird Belgrad am Dienstagabend besuchen. Es ist der 25. Jahrestag der NATO-Bombardierung der dortigen chinesischen Botschaft. Der Termin soll „die Heuchelei der USA und die Überdehnung der NATO“ deutlich machen, sagt Janka Oertel vom European Council on Foreign Relations.
Falsche Prioritäten? Serbien gehört jedoch nicht zur EU. Auch Ungarns Präsident Viktor Orbán wird Xi bei seinem Anliegen, EU-Strafzölle zu verhindern, wenig helfen können.
Da die EU für Handelsthemen zuständig ist, kann Ungarn die EU-Zölle im Alleingang rechtlich nicht blockieren. Xi müsste eine qualifizierte Mehrheit der EU-Länder zusammenbringen, um die Zölle zu stoppen.
BESUCH AUS BOSNIEN IN BERLIN: Bundeskanzler Olaf Scholz empfängt heute Denis Bećirović, den Vorsitzenden des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina. Die zeitliche Parallele zu Xis Besuch in Serbien mag zufällig sein, ist aber umso symbolträchtiger: Bosnien und Herzegowina nähert sich der EU an.
ENERGIE UND KLIMA |
EU WILL RUSSISCHES LNG SANKTIONIEREN: Zum ersten Mal seit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine will die Europäische Kommission auch Flüssiggas (LNG) sanktionieren. Dies geht aus Dokumenten hervor, die POLITICO vorliegen.
Russland exportiert LNG nach Europa, von wo das Flüssiggas weiter ins Ausland verschifft wird. Diese „Umladung“ soll nun im 14. Sanktionspaket der EU gegen Russland verboten werden. EU-Diplomaten sollen am Mittwoch grünes Licht geben.
Investitionsverbot: Das Sanktionspaket soll auch die Beteiligung von EU-Firmen an künftigen LNG-Projekten in Russland verbieten. Die neuen Regeln schränken „den Ausbau der russischen LNG-Kapazitäten und damit die Einnahmen Russlands ein“, heißt es in dem Vorschlag.
Putins Kriegskassen füllten sich vergangenes Jahr laut einer Studie um etwa acht Milliarden Euro durch die russischen Gasexporte nach Europa. Die neuen Sanktionen würden jedoch nur ein Viertel dieser Exporte betreffen. Unsere Kollegen haben die Konsequenzen analysiert.
Das Problem: Die neue Maßnahme „hat keine Auswirkungen auf [direkte] Importe in die EU“, heißt es in einem der Dokumente.
Am stärksten betroffen wäre die 27 Milliarden US-Dollar schwere Yamal-LNG-Anlage. Da diese im Norden Sibiriens liegt, wird das LNG mit Eisbrecher-Schiffen nach Europa exportiert. Das ist langsam und teuer.
„Wenn sie in Europa nicht umladen können, müssen sie ihre Eisbrecher-Tanker möglicherweise auf eine längere Reise schicken“, sagte Laura Page, eine LNG-Expertin des Datenanalytik-Unternehmen Kpler unserem Kollegen Gabriel Gavin. „Die Schiffe [würden] nicht so schnell zurückkehren können“, was Russlands Exporte minimieren würde, sagte Page.
Russland schmuggelt Rohöl mit Hilfe seiner sogenannten Schattenflotte durch die Welt. Die Tanker fahren unter der Fahne anderer Länder, bleiben so oft unentdeckt und verstoßen gegen westliche Sanktionen. Sie sollen laut dem neuen Sanktionspaket ebenfalls stärker kontrolliert werden.
Dies würde für Schiffe gelten, „die zur Entwicklung oder zum Ausbau des Energiesektors in Russland, einschließlich der Energieinfrastruktur beitragen oder diese unterstützen, oder die strukturell von Russland zum Zweck des Energietransports genutzt werden“. Ziel sei es, „die Einnahmen Russlands in diesem Sektor zu verringern“.
AUßERDEM ERFAHREN PRO-ABONNENTEN von Energie und Klima, warum die EU weniger attraktiv für Investitionen in saubere Technologien wird. Des Weiteren geht es darum, wie die Ukraine sich besser vor russischen Angriffen auf ihr Energienetz schützen kann.
VERTEIDIGUNG |
KAUFT UKRAINISCH: Während Russland am Montag den westlichen Partnern der Ukraine in nie dagewesener Weise drohte, warb der ukrainische Industrieminister Oleksandr Kamyshin gegenüber POLITICO mit deutlichen Worten um westliche Unterstützung.
Die Botschaft: Der Abschluss von Verträgen mit der Rüstungsindustrie des Landes sei die größte Hilfe bei der Verteidigung gegen Russland, sagte Kamyshin im Gespräch mit unserem Kollegen Jacopo Barigazzi. Kamyshin war für das EU-Ukraine Defence Industries Forum in Brüssel.
Die fehlenden Milliarden: Der Minister sagte, die ukrainische Rüstungsindustrie könne jährlich Waffen im Wert von rund 20 Milliarden US-Dollar herstellen. Die ukrainische Regierung plane, Aufträge im Wert von sechs Milliarden Dollar zu vergeben. Weitere vier Milliarden Dollar würden von lokalen Partnern kommen. Die fehlenden zehn Milliarden Dollar könnten die Verbündeten der Ukraine investieren.
Das geschieht bereits: Dänemark hat 27 Millionen Euro zugesagt, Kanada gibt zwei Millionen Euro für ukrainische Drohnenhersteller aus. „Wir sind auf der Suche nach weiteren Ländern, die sich uns anschließen möchten, und wir haben eine Reihe von erfolgreichen Gesprächen geführt“, sagte Kamyshin. „Aber wir können noch nicht sagen, wann sie sich verpflichten werden.“
Starke Verteidigungsindustrie: Investitionen in einem Land, das sich im Krieg befindet, könnten riskant sein, sagte Kamyshin. Doch der ukrainische Verteidigungssektor ziehe auch US-Unternehmen an. Es gibt „vier Projekte, die sich gut entwickeln, und wir haben eine Reihe anderer, die sich langsamer entwickeln“, sagte er, ohne weitere Details zu nennen.
Sein Appell: „Es gibt keine andere Möglichkeit, der Ukraine näher zu sein, als vor Ort zu sein“, sagte der Minister und fügte hinzu, dass dies den Unternehmen auch ermögliche, Innovationen im Einsatz zu testen. Als Beispiel führte er an, wie die ukrainischen Streitkräfte kürzlich „einen Hubschrauber mit einer Marinedrohne getroffen haben. Es ist seltsam, aber es funktioniert“.
Mahnung aus Brüssel: EU-Spitzendiplomat Josep Borrell sagte auf der gleichen Veranstaltung: „Drohnen und elektronische Kriegsführung aus der Ukraine könnten weltweit führend werden“. Die EU möchte jedoch, dass die Ukraine keine chinesische Technologie mehr einsetze.
AUßERDEM LESEN ABONNENTEN VON PRO-DEFENSE: Die deutschen Firmen Diehl, Hensoldt und ESG haben bekanntgegeben, einen weiteren Rüstungsauftrag erhalten zu haben. Spannend auch: Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) stellt 600 Millionen Euro für das Satellitenkommunikationsprojekt IRIS2 bereit.
TECH |
CYBERANGRIFF: Das britische Verteidigungsministerium (MoD) ist mutmaßlich von einem chinesischen Hackerangriff betroffen. Ziel war offenbar ein Gehaltsabrechnungssystem mit Namen, Bankdaten und vereinzelt auch Wohnadressen von rund 270.000 aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Streitkräfte.
Verteidigungsminister Grant Shapps will am Dienstag das Unterhaus informieren. Obwohl er Peking wohl nicht direkt beschuldigen wird, berichtete Sky News, dass China beteiligt sei. Das chinesische Außenministerium bezeichnete den Bericht als „absurd“ und betonte seine Ablehnung von Cyberangriffen.
VERTAUSCHTE ROLLEN MIT CHINA: Während der Europareise von Xi haben führende China- und Technologieforscher des Kontinents heute Morgen ein Papier veröffentlicht, das es in sich hat. Darin fordern sie die Staats- und Regierungschefs der EU auf, Hochtechnologie als strategischen Hebel gegenüber Peking einzusetzen.
„Umgekehrte Abhängigkeit“ nennen das die Forscher. Es sei praktisch unmöglich, Abhängigkeiten so weit zu reduzieren, dass die wirtschaftliche Sicherheit und technologische Souveränität der EU und Großbritanniens gewährleistet bliebe.
Die gute Botschaft: „Chinas technologischer Fortschritt ist weiterhin von der Außenwelt abhängig, auch von Europa.“ Die EU solle ihre Politik durch Maßnahmen ergänzen, die dazu beitragen, die „umgekehrten Abhängigkeiten aufrechtzuerhalten und es für China technologisch unentbehrlich zu halten“, heißt es.
Europäische Spitzentechnologie: Ein Beispiel sei das sogenannte Fotolithografie-Verfahren, bei dem winzige Halbleiter bedruckt werden. Europa sei außerdem im Bereich Quantensensorik, Technologien für die Erforschung des Mondes und KI in der Medizin führend.
Die Autoren: Das Papier stammt vom Forschungskonsortium Digital Power China und wurde von Tim Rühlig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik verfasst, der derzeit Mitglied des zwischenstaatlichen Think Tanks IDEA ist.
HACKERANGRIFF: Das Europäische Parlament hat dutzende Bewerber über ein Datenleck in seinem Online-Bewerbungssystem informiert. Darüber berichtet das Brussels Playbook — und verweist auf eine E-Mail, die Bewerber über den Vorfall informierte. Betroffen seien hochgeladene Dateien und „einige andere Dokumente, die vom Parlament während des Rekrutierungsprozesses erstellt wurden“, hieß es darin.
PRO-TECH-ABONNENTEN können in der zweiten Folge der POLITICO-Serie „Bots and Ballots: Wie künstliche Intelligenz Wahlen weltweit verändert“ lesen, wie Moldawien gegen Russlands KI-gesteuerte Desinformationsmaschinerie kämpft und wie sich Telegram auf neue Vorschriften in Belgien vorbereitet.
WORÜBER BRÜSSEL SONST NOCH SPRICHT |
— BARCELONA AUF DEM TROCKENEN: Die Wasserversorgung in der spanischen Metropole steht vor dem Zusammenbruch, weil Touristen nach Schätzungen der Stadtverwaltung im Durchschnitt deutlich mehr Wasser verbrauchen als Einheimische. Während für die katalanischen Kommunen seit Februar Obergrenzen für den Wasserverbrauch gelten, ist der Tourismussektor von Einschränkungen weitgehend verschont geblieben. Unsere Kollegin Zia Weise kennt die Details.
— VOM BAD BOY ZUM KI-COP: Microsofts Chief Data Scientist Juan Lavista Ferres und sein Team entwickeln Tools, um KI-generierte Deepfake-Videos, Audio-Clips und Bilder zu erkennen, die Wahlen weltweit beeinflussen könnten. Die Technologie hat sich in den meisten bisherigen Fällen als sehr effektiv erwiesen. Die ganze Geschichte unseres Kollegen Mark Scott gibt’s für Pro-Abonnenten hier.
— PAUS IN BRÜSSEL: Familienministerin Lisa Paus ist heute in Brüssel. Auf der Agenda des EU-Rats für Sozialpolitik und Beschäftigung steht der Schutz und die Unabhängigkeit von Frauen. Erstmals wird die EU einige Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt kriminalisieren — für Paus ein „Meilenstein für Europa“.